Wohnen im Norden – Stadtentwicklungsprojekt Pforzheim mit Waldstadt-Konzept
Mit dem Projekt Wohnen im Norden verfolgt die Stadt Pforzheim das Ziel, auf den wachsenden Bedarf an Wohnraum zu reagieren und neue, nachhaltige Quartiere in den nördlichen Hanglagen der Stadt zu prüfen.
Wohnen im Norden
Mit dem Projekt „Wohnen im Norden" verfolgt die Stadt Pforzheim das Ziel, auf den wachsenden Bedarf an Wohnraum zu reagieren und neue, nachhaltige Quartiere in den nördlichen Hanglagen der Stadt zu prüfen. Dabei handelt es sich nicht um ein klassisches Bauvorhaben, sondern um einen langfristigen Planungs- und Beteiligungsprozess, der ergebnisoffen untersuchen soll, ob und in welcher Form im Norden der Stadt neue Wohngebiete entstehen können. Die Idee entstand im Rahmen des städtebaulich-räumlichen Leitbilds 2050 und des Initiativprogramms Wohnen, in dem die Stadt einen deutlichen Wohnraummangel festgestellt hat, der durch Nachverdichtung in bestehenden Stadtteilen allein nicht behoben werden kann.
Ziel und Leitgedanke
Ziel ist die Entwicklung eines zukunftsfähigen Wohnquartiers, das ökologischen, sozialen und funktionalen Anforderungen gleichermaßen gerecht wird. Der Norden soll dabei nicht einfach bebaut, sondern neu gedacht werden – als Modellregion für nachhaltige Stadtentwicklung. Das Konzept sieht eine starke Einbindung von Natur und Landschaft vor, neue Mobilitätskonzepte, soziale Durchmischung und bürgernahe Mitgestaltung. Die Lebensqualität soll durch kurze Wege und Nahversorgung, gemeinschaftliche Strukturen, ein ausgewogenes Verhältnis von Wohnraum und Grünflächen sowie Freizeitangebote im Quartier gesteigert werden.
Planungsprozess
Phase 1 – Leitbilder für den Norden (2020–2021)
Vier Planungsbüros – Koschuch Architects aus Amsterdam, M-E-S-S aus Kaiserslautern, BJP aus Dortmund und Snohetta aus Innsbruck – wurden ausgewählt, um erste Entwürfe für mögliche Quartiersentwicklungen zu erarbeiten. Die Entwürfe wurden in der Online-Veranstaltung „DialogBAR" vorgestellt und öffentlich auf der Plattform pforzheim-norden.de diskutiert. Rund 1.700 Menschen sahen die Präsentationen, 238 Rückmeldungen gingen ein. Die Empfehlung fiel auf den Entwurf „Waldstadt" von Koschuch Architects.
Phase 2 – Pioniere für den Norden (ab 2022)
Die zweite Phase zielte darauf, das Leitbild der „Waldstadt" zu vertiefen und gemeinsam mit der Bevölkerung zu konkretisieren. Ein „Waldstadt-Planungsplatz" als mobiler Treffpunkt und ein „Waldstadtmobil" als Bauwagen im Planungsgebiet wurden eingerichtet. Veranstaltungen unter dem Motto „Vom Mitreden zum Mitgestalten" fanden statt, darunter Bürgergespräche, Postkartenaktionen und PlanBAR-Workshops. Die Resonanz war groß, aber es gab auch Spannungen zwischen verschiedenen Interessen.
Die vier Pilotprojekte
Im Mittelpunkt der aktuellen Planungsüberlegungen stehen vier Pilotprojekte, die den Charakter des künftigen Quartiers verdeutlichen und als praktische Erprobungsräume dienen sollen.
NordForum
Das NordForum ist ein offener Begegnungsort für Dialog, Kultur und Nachbarschaft, der das Thema Bürgerbeteiligung dauerhaft verankern soll.
WaldArena
Die WaldArena ist ein Freiraumkonzept mit naturnahen Aufenthaltsflächen, Spiel- und Erholungszonen, das die Verzahnung von Stadt und Landschaft beispielhaft zeigt.
NordTurm
Der NordTurm ist ein symbolisches Bauprojekt, das als Aussichtspunkt, Informationszentrum und Identifikationsort für den Stadtteil fungieren könnte.
Nachbarsküche
Die Nachbarsküche ist ein soziales Projekt, das gemeinschaftliches Kochen, Austausch und Begegnung im Quartier fördern soll.
Räumlicher Untersuchungsbereich
Der derzeitige Untersuchungsraum umfasst zwei Hauptabschnitte. Das Teilgebiet West liegt zwischen Hachelallee, Königsbacher Landstraße, Wilferdinger Höhe und der Autobahn A8. Das Teilgebiet Ost umfasst Flächen östlich des Hauptfriedhofs, deren Untersuchung in einem zweiten Schritt erfolgen soll. Die Areale bestehen größtenteils aus Garten- und Streuobstflächen, teils mit älteren Bestandsgebäuden und naturnahen Strukturen. Die planerische Herausforderung liegt darin, mögliche Bauflächen zu identifizieren, ohne wertvolle Biotope oder Kaltluftschneisen zu beeinträchtigen.
Pro- und Contra-Argumente
Chancen und Potenziale
Pforzheim benötigt dringend zusätzlichen Wohnraum, insbesondere für Familien und mittlere Einkommen. Die „Waldstadt" könnte beispielhaft für nachhaltige Stadtentwicklung werden – mit Fokus auf Umwelt, Bürgerbeteiligung und sozialer Vielfalt. Der partizipative Prozess schafft Transparenz und Mitbestimmung, anstatt fertige Baupläne vorzugeben. Die Integration von Landschaft, Wald und gemeinschaftlichen Freiräumen könnte ein unverwechselbares Quartier schaffen.
Bedenken und Kritikpunkte
Große Teile des Gebiets sind ökologisch sensibel. Der BUND Nordschwarzwald lehnt eine Bebauung ab. Kritiker fordern, zunächst innerstädtische Potenziale und Nachverdichtung auszuschöpfen. Grundstücksbesitzer befürchten Eingriffe, Wertverluste oder langwierige Unsicherheiten. Unklar ist, wie zusätzliche Bewohner verkehrlich integriert werden können.
Politische Kritik
Die FDP-Gemeinderatsfraktion hat größte Bedenken, ob das von Baubürgermeisterin Sibylle Schüssler vorangetriebene Projekt „Waldstadt" überhaupt realisiert werden kann. Im Norden soll ein 150 Hektar großes Areal als Wohngebiet für 15.000 bis 30.000 Bewohner entstehen. Experten würden jedoch davon ausgehen, dass die Abwässer und das Niederschlagswasser nicht aus diesem Gebiet herausgeleitet werden könnten. Gemeinderätin Monika Descharmes (FDP) ergänzt, dass vor jeder weiteren Planung erst einmal die technische Realisierung der notwendigen Entwässerung geklärt sein muss, sonst sei jeder Cent für das Projekt unnütz hinausgeworfen.
Prüffläche 003: Remiesweg, Hinterer Hachel, Kutscherweg
Die größte der geplanten Wohnbauflächen im Norden Pforzheims liegt am nördlichen Stadtrand südlich des Trippelwegs und westlich der Königsbacher Landstraße. Die Fläche umfasst 59,62 Hektar und ist im FNP 2005 als Wohnbaufläche ausgewiesen. Die aktuelle Nutzung besteht aus strukturreichen Schrebergärten mit Ein- und Zweifamilienhäusern, Wiesenflächen, Streuobstbeständen und einem ehemaligen Tripelabbaugebiet im zentralen Bereich.
Entwicklungshemmnisse
Die Lage im Regionalen Grünzug erfordert ein Zielabweichungsverfahren. FFH-Mähwiesen befinden sich im östlichen Bereich, geschützte Streuobstbestände ab 1.500 m² sind vorhanden. Die Fläche hat eine hohe klimatische Ausgleichsfunktion für die Innenstadt. Eine Lärmbelastung durch die BAB 8 und die Königsbacher Landstraße besteht.
Umweltbewertung
Die Artenschutzbewertung ist hoch, da Vögel, Fledermäuse und Reptilien betroffen sind. Die Bodenbewertung ist hoch, da nordöstlich wertvolle Böden vorhanden sind. Die Klimabewertung ist hoch, da die Fläche der Frischluftproduktion dient. Die Landschaftsbewertung ist hoch aufgrund kulturlandschaftlicher Elemente. Die Erholungsbewertung ist mittel, da es sich um ein Nah-Erholungsgebiet handelt.
Gesamtbewertung
Ohne Maßnahmen wird die Fläche als ungeeignet (V) eingestuft. Mit Kompensationsmaßnahmen kann sie als bedingt geeignet (III) bewertet werden. Besonders der östliche Bereich weist hohe Empfindlichkeiten auf. Eine Entwicklung ist nur in Teilbereichen und mit umfangreichen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen möglich.
Aktueller Stand und Ausblick
Der Prozess „Wohnen im Norden" befindet sich weiterhin im Untersuchungsstadium. Die Stadt arbeitet an einem Rahmenplan, der die Ergebnisse der bisherigen Beteiligung, ökologischen Analysen und städtebaulichen Überlegungen zusammenführt. Erst danach kann entschieden werden, ob und in welchem Umfang eine konkrete Wohngebietsentwicklung erfolgt. Der Erfolg des Projekts hängt maßgeblich von der aktiven Mitwirkung der Bürgerschaft und der Fähigkeit ab, ökologische, soziale und ökonomische Interessen in Einklang zu bringen. Ob aus der Vision der „Waldstadt" tatsächlich ein neues Stadtquartier entsteht, bleibt eine der spannendsten städtebaulichen Fragen Pforzheims in den kommenden Jahren.